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Voll subversiv: Lesen gefährdet die Dummheit

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Verlagswerbung: "Lesen gefährdet die Dummheit"Kunde A ist eine geduckte Gestalt. Er geht in einem Sexshop einkaufen, das ist gesellschaftlich nicht anerkannt. Der Ladeninhaber bietet Herrn A ein wenig Unterstützung an: Die gekaufte Ware packt er in eine dunkle Plastiktüte, die nicht verrät, was in ihr steckt. Er sorgt für Diskretion, bis Kunde A die Tüte nach Hause gebracht hat, wo er ihren Inhalt dem Verbrauch zuführen kann.

Kunde B hat gut lachen. Er geht in einem Buchladen einkaufen, das ist gesellschaftlich anerkannt. Erhobenen Hauptes studiert er die dargebotenen Titel – darf es der neue von Walser sein? Oder etwa ein Fantasy-Roman, in dem auf knapp 1000 Seiten beschrieben wird, wie ein paar untersetzte Kreaturen mit Haaren auf den Füßen dem bösen Zauberer Hassköter das Schwert der Monsterkraft entreißen, wobei den Helden von der lieblichen Königin Katzenblume aus dem verwunschenen Reich der siebeneinhalb mal siebeneinhalb Nebel der Weg gewiesen wird, indem sie ihnen ihr Horoskop auslegt, das auf dem heiligen Buch von Edelschlund auf Pergament niedergeschrieben ist, das aus den Blütenblättern der Mondgurke gefertigt wird, die nur verarbeitet werden kann, wenn man bei Vollmond ganz doll von ihr träumt? *

Kunde C ist ahnungslos. Er weiß noch nicht, dass die Kreise, die gesellschaftliche Anerkennung zu‑ oder absprechen, ihm nahelegen, sich in einer Buchhandlung sehen zu lassen. Um diesen Kunden für ihre Produkte zu interessieren, leisten sich Verlage eine Marketing-Abteilung oder beauftragen gar eine Werbeagentur. Die dort beschäftigten Fachkräfte, die man über die Branche hinaus gern als „Kreative“ bezeichnet, sitzen oft lange Tage zusammen, trinken exotische Kräutertees und grübeln, wie sie den Kunden C an die Produkte ihres Auftraggebers heranführen können.

Lesen – so subversiv wie rauchen

Dabei entstehen gelegentlich gewitzte Ideen, wie die, die der oben abgebildeten Papiertüte zugrunde liegt. Als vor Kurzem der Verfasser dieses Blogs ein neu erworbenes Werk vom Buchhändler seines Vertrauens darin eingepackt bekam, war er sehr erfreut über den darauf abgedruckten Slogan „Lesen gefährdet die Dummheit“. Stolz trug er die Tüte deutlich sichtbar vor sich her, er hatte sogar den Eindruck, dass die Akademikerinnen in den Straßen in Berlin-Prenzlauer Berg entscheidende Sekunden länger ihren Blick auf ihm ruhen ließen.

Spätabends, als er den Imagegewinn des Tages überdachte, fiel ihm erst das Entscheidende an der Tüte auf: der schwarze Rand, der den Schriftzug umgibt. Er ähnelt natürlich dem des Warnhinweises auf einer Zigarettenschachtel.

„Alle Achtung, da haben sich unsere Kreativen ja was einfallen lassen!“, rief der Verfasser dieses Blogs aus, denn das an sich schon gewagte Verfahren des Bootlegs wurde hier auf die Spitze getrieben: Das Zitieren der Warnung vor dem Rauchen soll nämlich den Eindruck erwecken, Lesen als Verstoß gegen die Dummheit sei etwas Subversives, etwas Unbequemes, etwas, das aneckt, wie man so gern formuliert.

Kein Wunder, sagte sich der Verfasser dieses Blogs, dass er auf einmal attraktiv auf Frauen wirkte, Subversion hat etwas Verwegenes, ja Männliches an sich (das weiß jeder, der früher auf dem Schulhof die rauchenden Jungs aus der Ferne beobachtet und bewundert hat). Schade fand er nur, dass er bei den unbekannten Schönen wahrscheinlich wegen dieser Testosteron-Protzerei Gefallen gefunden hatte – nicht aber wegen seiner Liebe zur Literatur.

* Diesen Plot eines noch nicht geschriebenen Fantasy-Romans veröffentliche ich hiermit unter der Creative-Commons-Lizenz by-nc-sa. Unbeschränkten Zugang auf mein geistiges Eigentum gewähre ich aber dem hoffnungsvollen Jungautor, dem es gelingt, die packende Story auf einen Zyklus von nicht unter 10.000 Seiten Länge auszuwälzen. Wünsche viel Erfolg!

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